Der Student Hans
1920er und 1930er Jahre
Guten Tag. Mein Name ist Hans* und ich bin derzeit Doktorand am I. Physikalischen Institut bei Robert Wichard Pohl in Göttingen. 1935 werde ich wohl meinen Doktortitel erhalten. Als blutjunger Student habe ich vor Jahren die Einführungsvorlesung beim Professor besucht und möchte euch an meinen vergnüglichen Erinnerungen teilhaben lassen. Nach diesem ‚Zirkus‘ ging es für mich als Doktorand in die ‚Schule Pohl‘, wo ich den Herrn Professor auch als Fach- und Privatmann kennenlernen durfte. So langsam habe ich mich dort eingewöhnt, doch die politischen Entwicklungen durch die Nazis machen mir Bange, weil sie einige Änderungen an der Universität durchsetzen wollen. Pohl lässt sich davon aber scheinbar nicht beunruhigen.
*Bei dem Studenten Hans handelt es sich um eine fiktive Persona.
Kapitel
Beste Aussicht mit Schatten
Nach dem Ersten Weltkrieg studierten immer mehr Menschen – die Hörsäle wurden voller. Damit alle Studierenden die Demonstrationen in Pohls Einführungsvorlesung miterleben konnten, setzte Pohl auf Schattenprojektionen. Mit einer Bogenlampe wurden die einfachen Versuchsaufbauten an die Wand projiziert, sodass auch in der letzten Reihe die Experimente verfolgt werden konnten. Pohl machte aus Schattenprojektionen und den unterstützenden Geräten ein erfolgreiches System, das seine Inhalte veranschaulicht.
Ausschnitte aus dem Stummfilm zum Sommerfest im alten Physikinstitut von Fritz Lüty aus dem Jahr 1952. Der Film ist die einzig bekannte Videoaufnahme von Pohl bei der Lehre. (SUB Universität Göttingen, Nachlass Pohl.)
Verwandte Themen
Was für ein Theater!
Professor Pohls Vorlesung ist einfach einzigartig! Mit Spaß und Humor zeigte er uns die verschiedensten Experimente und am Ende der Vorlesung habe ich trotzdem immer was gelernt. Gerne ist Pohl auch selbst das Versuchskaninchen. Zum Beispiel setzt er sich auf den Drehstuhl, um uns die Drehimpulserhaltung vorzuführen. Seine Kollegen aus der theoretischen Physik höre ich immer über Pohl schimpfen: „Das ist doch alles nur ein großer Zirkus!“ Aber… wer geht nicht gerne in den Zirkus?
Mit vollem Körpereinsatz werden die Mitarbeitenden Teil von Pohls Demonstrationen. Die Fotos von den Schattenwürfen wurden vor 1930 für den Abdruck in Pohls Lehrbuch gemacht. (Negativ-Box 3.2, 3.3 und 3.5, Sammlung Pohl, Physicalisches Cabinett, I. Physikalisches Institut.)
Verwandte Themen
Pohls Schüler
Inzwischen arbeite ich an meinem Doktortitel in der ‚Schule Pohl‘. In diesem kleinen Kreis von Studierenden um den Professor fühle ich mich richtig stolz. Pohl konnte ich auch besser kennenlernen. Er fordert viel von uns, aber gleichzeitig fühle ich mich gut umsorgt – etwa bei gemeinsamen Spaziergängen im Göttinger Stadtwald mit langen Diskussionen über physikalische Probleme. Obwohl wir viel experimentieren und veröffentlichen, ist die Forschung des Professors ziemlich unbekannt. Mit dem Namen Pohl verbinden die meisten seine spezielle Art der Vorlesungen.
Fritz Lüty (1928-2017) war ein Student von Pohl und schrieb bei ihm als sein letzter Schüler seine Doktorarbeit. 1965 ging er an die Universität von Utah, USA, um eine Professorenstelle anzunehmen. In einem Interview aus dem Jahr 1982 berichtet er von seinen Erfahrungen mit Pohl als Lehrer.
„I think Pohl when he was younger was besides being a very good scientist – and he made a lot of innovations – was somewhat of a dictator at the institute, but the older he became he become really more tolerant, more open, more [gets interrupted: He didn’t care so much] and then really he widened his horizon and… so I was with him in a stage when he was a really great to be adviser and of course I respected him a lot.“
„Ich glaube, als Pohl jünger war, war er nicht nur ein sehr guter Wissenschaftler – und er hat viele Innovationen gemacht -, sondern er war auch so etwas wie ein Diktator am Institut, aber je älter er wurde, desto toleranter, offener, [wird unterbrochen: Er hat sich nicht so sehr darum gekümmert] und dann hat er wirklich seinen Horizont erweitert und… also ich war mit ihm in einer Phase zusammen, in der er ein wirklich toller Berater war und ich habe ihn natürlich sehr respektiert.“
„I think it’s partly really that the institute somehow had a very strong personal tradition which was very much cherished there, and which had good sides and its throwbacks because it breeds a little bit this closed atmosphere.“
„Ich glaube, es liegt zum Teil wirklich daran, dass das Institut irgendwie eine sehr starke persönliche Tradition hatte, die dort sehr gepflegt wurde, und die auch ihre guten Seiten hatte und ihre Kehrseiten, weil sie ein bisschen diese geschlossene Atmosphäre hervorbringt.“
Interview of Fritz Lüty by Kris Szymborksi, 1982 June 4, Niels Bohr Library & Archives, American Institute of Physics, College Park, MD USA.
„I heard lots of stories. [gets interrupted: What have you heard about him?] well I mean, I think in the old times he was very very strict, in terms of… I mean I heard stories which, that young people for instance who were at the institute, of course they were not well paid, I mean they were doing a diplomdoc, maybe there a little bit. Then they for some reason wanted to marry, had a girlfriend or had to marry and whatever. And this was something he dreaded to tell Pohl, because I mean I heard cases I mean that when someone came and said that he shouted at him and said: ‘Man, how do you want to feed a wife? I think you should first accomplish something and become a scientist.’ So, he had very strict I think ideas how things should go in life, so of course he was an example, he married late in life.“
„Ich habe viele Geschichten gehört. [wird unterbrochen: Was haben Sie über ihn gehört?] Also ich meine, ich glaube, früher war er sehr, sehr streng, was… Ich meine, ich habe Geschichten gehört, dass zum Beispiel junge Leute, die am Institut waren, die waren natürlich nicht gut bezahlt, ich meine, die haben ein Diplom gemacht, vielleicht ein bisschen dort. Dann wollten sie aus irgendeinem Grund heiraten, hatten eine Freundin oder mussten heiraten und so weiter. Und das war etwas, was er Pohl nicht sagen wollte, denn ich meine, ich habe Fälle gehört, ich meine, wenn jemand kam und das sagte, schrie er ihn an und sagte: „Mann, wie willst du eine Frau ernähren? Ich denke, Sie sollten erst einmal etwas leisten und Wissenschaftler werden.‘ Also, er hatte, glaube ich, sehr strenge Vorstellungen, wie die Dinge im Leben laufen sollten, und so war er natürlich ein Beispiel, er hat spät geheiratet.“
Jetzt bist du gefragt! Du hast dir inzwischen ein Bild von Pohl und seiner Vorlesung gemacht. Wir möchten gerne deine Meinung zu seinem Lehrstil und von deinen Erfahrungen mit Lehrer:innen und Professor:innen erfahren. Sobald du deine Meinung abgegeben hast, kannst du sehen, wie andere abgestimmt haben.
Verwandte Themen
Pohl und der Nationalsozialismus
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland hatte auf Pohls Wirken keinen erkennbaren Effekt, obgleich sie in der Göttinger Physik tiefe Spuren hinterließ. Selbst als sein langjähriger Freund James Franck aufgrund seiner jüdischen Abstammung seinen Physiklehrstuhl aufgab und emigrierte, äußerte sich Pohl dazu nicht. Gleichzeitig ist überliefert, dass er in seinen Vorlesungen während der NS-Zeit politische, gegen die Nazis gerichtete Scherze einbaute. Obwohl er politisch nicht aktiv war und eine Einladung zu einem Widerstandskreis ablehnte, wurde er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Mitglied im Entnazifizierungsausschuss der Universität.
„Genüßlich mag er [Pohl] jeweils den Vorgang zur Entstehung der Farbe ‘Braun’ in seiner großen Vorlesung vorgeführt haben, der in allen Auflagen seines Optikbandes der ‘Einführung in die Physik’ beschrieben ist, mit der beziehungsreichen, aber unangreifbaren Formulierung: ‚Durch die Bewegung verschwinden die drei einzelnen Farben (Schwarz, Rot, Gelb) in einem einheitlichen Braun‘.“
aus: Ulf Rosenow, ‘Die Göttinger Physik unter dem Nationalsozialismus’, in Becker et al. (Hrsg.): ‚Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus‘ Zweite, erweiterte Auflage (München [u.a.]: Saur, 1998), S. 563.
„Die Bewegung einer in Kaliumbromid an einer Kathode injizierten Elektronenwolke, die als braune Wolke zur Anode wandert, vom Beschauer aus nach rechts, kommentiert Pohl: ‚Und jetzt polen wir das äußere Feld um und schon wandert die braune Masse nach links‘.“
aus: Ulf Rosenow, ‘Die Göttinger Physik unter dem Nationalsozialismus’, in Becker et al. (Hrsg.): ‚Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus‘ Zweite, erweiterte Auflage (München [u.a.]: Saur, 1998), S. 563.